Unsere Reise begann am Morgen des 17.01. in Göttingen. Erst am Abend erreichten wir Jumilla, wo es beim Abendessen zu einem ausgelassenen Wiedersehen und Kennenlernen kam. Es erwarteten uns viele der Mitglieder von Cuatro Patas, unserem spanischen Partnerverein und Betreiber des dortigen Tierheims, und Jennifer Jackson und Claudia Ruhmanseder, eine weitere Animal Learn Hundetrainerin, die bereits vor uns angekommen waren. Wir wurden sehr herzlich aufgenommen und es erübrigt sich beinahe zu sagen, wie lecker das Essen und der jumillanische Wein an diesem Abend geschmeckt haben.
Der Samstag fing dennoch früh an. Um neun Uhr fuhren wir das erste Mal zum Tierheim. Dort verschafften sich Eva und Jennifer einen Überblick über die Veränderungen der letzten Monate bzw. Jahre sowie über die angekündigten „Problemhunde“. Sie waren bekümmert darüber, dass Hunde wie Sami trotz ihres tollen Charakters und ihres großen Potenzials immer noch im Tierheim leben. Ziel war es nun, in den nächsten Tagen möglichst viele der Hunde kennen zu lernen, um ihnen das „perfekte“ Zuhause zu suchen – und allen Interessenten damit den „richtigen“ Hund!
Um sechzehn Uhr begannen die ersten Seminare, speziell für die Tierheim-Mitarbeiter. Die Stadt hatte uns für diesen Teil des Projektes einen modernen Vortragssaal mit Projektor und großartiger Akustik im Gemeindezentrum zur Verfügung gestellt. Das Seminar war gut besucht und sogar das Fernsehen hatte Kamera und Mikrofon aufgebaut. Deprivationssyndrom und Ausdrucksverhalten samt Körpersprache waren die Hauptthemen an diesem Tag. Es wurde viel erzählt, viel gefragt und auch ein wenig gelacht während wir alle unser Bestes gaben, uns an das Halten eines Fachvortrags in einer anderen Sprache zu gewöhnen. Vor allem die am Vormittag aufgenommenen Beispielfilme zur Anwendung des neu erlernten Wissens wurden rege diskutiert. Auch die Fragen, die am Ende des Seminares gestellt wurden und die Gespräche im Anschluss zeugten von so viel liebevoller Bemühung, Wissbegierde und Offenheit, dass auch die „Neulinge“ von uns bereits dort einen ersten Eindruck von dem außergewöhnlichen Engagement bei Cuatro Patas bekamen.
Um 10 Uhr begann am Sonntag bei Regen die nächste Seminarrunde. Dieses Mal offen für alle Tierheimsympathisanten, Pflegestellen und alle Hundebesitzer, die ihr Tier aus dem Tierheim haben. Dieses Mal ging es um die Entwicklungsphasen eines Hundes, das richtige Equipment wie lange Leinen und Geschirre u.s.w. sowie um körperliche Reaktionsketten bei Stress und empfindliche Körperstellen. Obwohl einige der ebenfalls anwesenden Kinder zwischendurch bedenklich tief in die fatalerweise sehr bequemen Sessel rutschten, war der Großteil der Zuhörer so wissbegierig, dass mehrfach gegen Pausen gestimmt wurde und jedem Vortrag ein Schwall an Fragen folgte. Tatsächlich war sogar das Interesse an weiteren Seminaren so groß, dass wir mittlerweile überlegen, ein weiteres Projekt dieser Art noch im selben Jahr durchzuführen statt bis zum nächsten zu warten.
Am Nachmittag fanden Sprechstunden im Tierheim statt. Dabei halfen uns zwei weitere Übersetzerinnen aus. So konnten sich die drei Trainerinnen aufteilen und die größtmögliche Zahl an Anfragen bearbeiten. Obwohl es schwer ist, innerhalb einer guten halben Stunde die richtigen Fragen zu stellen und nahezu unmöglich, die richtigen und nötigen Ratschläge zu geben, gingen letztendlich alle, sowohl die Gäste als auch wir, mit einem guten Gefühl aus der Sprechstunde.
Wir möchten euch gern zwei der Hunde vorstellen, deren Fälle uns am meisten beunruhigt hatten. Der erste der beiden ist der unkastrierte Dackelrüde Boris, der seine Halterin mit einem Biss ins Gesicht verletzt hat, als er seinen Lieblingsplatz auf dem Sofa räumen sollte. Bei diesen beiden war viel vom ursprünglichen Vertrauen weg und die Beziehung von Angst und Unsicherheit geprägt. Selbst die Möglichkeit, Boris einschläfern zu lassen, stand bereits im Raum. Hier hatten wir ein besonders schlimmes Gefühl, denn das Zünglein an der Waage zu sein, wenn es um das Leben eines Hundes geht, ist eine enorme Verantwortung, der man in einer Sprechstunde kaum gerecht werden kann. Die Begegnung mit Frau und Dackel ließ jedoch schnell erkennen, dass dieser Hund trotz all der schlechten Erinnerung geliebt wird und Boris sein Frauchen ebenso als Anker sieht. Schon nach der ersten Begegnung war klar: Hier WILL man daran arbeiten, dass alle wieder Freunde sein und zufrieden zusammen leben können. In einem weiteren Hausbesuch besprach Eva dann detailliert die Lebensumstände, stellte viele Fragen und erarbeitet mit der Familie einen Trainingsplan und Verhaltensalternativen für Mensch und Hund. Außerdem riet sie zu einer zeitnahen Kastration, um den Stresspegel des Hundes zu senken. Abschließend lässt sich sagen, dass wir dieses Gespräch mit Optimismus beenden konnten und guter Dinge sind. Sobald wir können, halten wir euch natürlich über neue Entwicklungen in diesem speziellen Fall auf dem Laufenden.
Das zweite Sorgenkind war die anderthalbjährige Staffordhündin Lara, die uns als aggressiv und bissig angekündigt worden war. Nachdem ein umfangreiches Gespräch ohne Hund kaum Erkenntnisse brachte, wurde Lara an der Trainerin vorbeigeführt. Es bedurfte keiner Minute um festzustellen, dass es sich bei diesem „dominanten, bissigen“ Hund um eine völlig verängstigte Junghündin handelte. Nun waren Grundsatzaufklärungen nötig. Begonnen bei der Mindestleinenlänge, den Grundbedürfnissen eines Hundes über Vertrauensaufbau und Körpersprache. Dank Cesar Milláns Popularität in Spanien gab es hier einiges zu erläutern. Glücklicherweise wurde uns schnell klar, wie sehr auch diese Halterin ihre Hündin ins Herz geschlossen hatte. Nach einigen Stunden Fragen, Antworten, Einsichten und Ratschlägen verließen wir aber auch Lara und ihre Familie mit vorsichtigem Optimismus. Glücklicherweise hatte Ana, eine der tollen Cuatro Patas Mitarbeiterinnen, angeboten, der Halterin im Tierheim bei der Bewältigung ihrer eigenen Angst vor großen Hunden und beim Kennenlernen hündischer Körpersprache behilflich zu sein. Bei dieser Sprechstunde wurde uns auch klar, wie wichtig es ist, unsere Aufklärungsarbeit zukünftig auch einem größeren Publikum zugänglich zu machen, denn auch bei bisher Tierschutzfernen und (ehemaligen bzw. zukünftig ehemaligen) Cesar Millán-Jüngern besteht offensichtlich großes Interesse und viel Offenheit.
Sonntag Abend waren wir zu einer Weinprobe eingeladen. Juan Carlos, ein Winzer, der in Jumilla ökologischen Weinbau betreibt und als einer der wenigen noch reine Monastrell-Weine herstellt, hatte uns eingeladen, einige seiner Besonderheiten zu probieren. Seine Geschäftspartnerin, eine der besten Sommeliers des Landes, machte uns mit den Nuancen, dem Verkostungsvorgang und den Herstellungsunterschieden vertraut. Ihre bildhafte, die Sinne direkt ansprechende Ausdrucksweise war einmalig und trug wesentlich zu der lockeren, überaus angenehmen Atmosphäre bei. Auch die vom Restaurant zu den Weinen gereichten Tapas standen den Getränken in nichts nach, so dass wir von einer Gaumenfreude zur nächsten taumelten. Wir lernten viel an diesem besonderen Abend und gingen gesättigt, angeheitert und sehr viel klüger nach Hause als wir gekommen waren. Mit ein wenig Glück sollte es uns möglich sein, euch bald an diesem Geschmackserlebnis teilhaben zu lassen, denn uns wurde eine Partnerschaft mit Spendenbeteiligung für Pfotennot angeboten. Wir werden sehen, was die nächsten Gespräche ergeben!
Am Montag und Dienstag teilten wir uns auf. Eva und Steffi hatten die Möglichkeit bekommen, in den Schulen Jumillas mit einigen Klassen unterschiedlichen Alters zu sprechen. Bei diesem Teil des Projektes ging es darum, schon bei den Kleinsten tradierte Denkstrukturen aufzubrechen und sie für Tierschutzthemen zu sensibilisieren. Unter anderem sollten die Kinder aufzählen, was ein Hund für ein zufriedenes Leben braucht. Bemerkenswerterweise nannten fast alle Klassen zuerst Liebe und Zuneigung. Auch als es um die verschiedenen Dinge ging, die es für Hunde so gibt, überraschten uns die Kinder mit ihrem Wissen. Abschließend erzählte Irene, die Präsidentin von Cuatro Patas , noch einiges über das Tierheim. Es war faszinierend, wie sie selbst die Jüngsten erreichte! Der Schultag am Dienstag wurde unterbrochen von einem Radiointerview. Unser Erstes! Wir waren sehr aufgeregt, doch das Resultat war dann doch ganz in Ordnung. Einige Tage später folgte ein zweites Radiointerview. Dieses Mal war die Situation weniger neu und wir konnten diese hervorragend moderierte Sendung sogar ein wenig genießen. Die Fragen gingen schnell über das Organisatorische hinaus und zielten auf ganz präzise Tierschutz-Inhalte ab, so dass wir uns nicht nur vorstellen, sondern sogar einige Schwerpunkte unserer Arbeit ansprechen konnten. Ein voller Erfolg!
Auch der Montagabend war ereignisreich. Alle versammelten sich zum Abendessen in einem Restaurant, wo wir nach einem leckeren Essen in fröhlicher Runde zum Einen das von Aza vorbereitete Kooperationsplakat und zum Anderen unsere Spende (zum Großteil entstanden aus den Einnahmen der Hemmingway-Soli-Party im Schroeders und 50,-€ für Sabinas Behandlungskosten) von 650,-€ überreichten und uns für die wunderbare Betreuung während unseres Aufenthaltes und für die jetzt schon so fruchtbare Zusammenarbeit bedankten. Ich kann euch sagen, dass einige Tränen kullerten und, nachdem alle Fotos geschossen waren, die Lachmuskeln langsam zu streiken begannen. Ein sehr emotionaler, glücklicher Abend!
Claudia, Aza, Shauna und Jenny begannen dagegen ihre Arbeit im Tierheim. Claudia und Jenny besahen Hunde, die uns die Spanier vorab genannt hatten. Es handelt sich dabei um solche Hunde, die individuelle Probleme haben oder bei denen die üblichen Trainingsmethoden keinen Erfolg gebracht hatten. Aza und Shauna stürzten sich in die Riesenaufgabe, alle 145 Hunde im Tierheim zu fotografieren, sie zu portraitieren, zu wiegen, zu messen und ein Video von ihnen zu drehen. Damit waren sie die gesamte Zeit schwer beschäftigt. Doch trotz der riesigen Zahl an Tieren und der Bemühung, allen so gut wie möglich gerecht zu werden, haben sie es nicht nur geschafft, sondern großartige, witzige und bezaubernde Bilder gemacht und damit so manchem Tierheimbewohner eine Eintrittskarte in ein neues Leben verschafft. Am Nachmittag verabschiedeten wir Claudia und Jenny, die nun bereits abreisen mussten.
In den folgenden Tagen setzten wir die begonnenen Arbeiten fort. Wenn Eva nicht bei weiteren Hausbesuchen war und dort bei Problemen half, widmete sie sich im Tierheim denjenigen Hunden, für die Cuatro Patas sich spezielle Trainingspläne gewünscht hatte. Es gab noch zwei Begebenheiten, die außergewöhnlich waren. Zum Einen besuchten wir am Freitag eine weitere Schulklasse. Das Besondere an diesen Kindern und ihrem Lehrer war, dass sie nach einer Versteigerung beschlossen hatten, die stattliche Summe von 200,-€ Cuatro Patas zu spenden. Sie hatten ein Lied über eine Hündin vorbereitet, das sie uns vorsangen, was uns zu Tränen gerührt hat. Ein sehr besonderer und bewegender Moment! Das andere Ereignis war der Besuch einer Gruppe sozial benachteiligter Kinder mit verschiedenen Lernstörungen im Tierheim. Bei dieser Begegnung ging es darum, Kindern neue Möglichkeiten der Entfaltung zu verschaffen, und den Hunden zu neuen Freunden zu verhelfen. Eva erklärte ihnen, wie man sich verhalten muss, wie man ein Geschirr anlegt und wie man einen Hund an der Leine führt. In kleinen Gruppen durften sie das Erlernte anwenden und zur Belohnung am Ende auch die Welpen kennen lernen. Einige dieser Kinder haben die Zeit mit den Tieren sichtlich genossen und wir hoffen sehr, dass daraus etwa Langfristiges entsteht.
Einem weiteren Medienereignis mussten wir uns in den letzten Tage stellen. Ach was! In Wirklichkeit sind wir sehr dankbar für dieses weitere Podium für unsere Botschaft: ein Fernsehinterview für TV Jumilla im Tierheim. Auch dort wurden wir zu den Kernthemen unserer Arbeit und der Kooperation mit Cuatro Patas befragt und konnten hoffentlich wieder ein wenig mehr Menschen auf die beispielhafte Arbeit unserer Freunde aber auch auf die Möglichkeiten, ihnen und den Hunden dabei zu helfen, aufmerksam machen. Der heimliche Star unseres Auftritts war jedoch die Hündin Yellow, die sich während des gesamten Gesprächs nicht davon abbringen ließ, den Geschmack der Kamerakabel zu ergründen und den Kameramann ordentlich ins Schwitzen brachte.
An unserem letzte Tag bereiteten unsere Freunde uns eine besondere Überraschung. Wir trafen uns direkt vor der Abfahrt noch einmal mit allen in einem Café. Angekündigt hatte sich nur die Hälfte, aber es waren tatsächlich ALLE in ihrer Mittagspause herbeigeeilt, um uns noch einmal zu verabschieden. Alba, die Jüngste, hatte uns sogar einen megaleckeren Schokokuchen gebacken! Der Kaffee ging nicht nur aufs Haus, sondern war außerdem auch nach bester Baristamanier mit tollen Bildern versehen. Da gab es in der Tasse alles vom floralen Muster bis zum Hundekopf. Und schon wieder waren wir gerührt und beeindruckt von so viel Herzlichkeit von unerwarteter Seite! Dann hieß es aber ab nach Alicante, ins Flugzeug, ins Auto, unter Dusche und ins eigene Bett, um mit viel Energie alle diejenigen Projekte voranzutreiben, die wir in Spanien angestoßen haben.