Nachdem ich im Juni mit einigen anderen PfotenNot-Mitgliedern schon einmal im Tierheim in Jumilla war, leider nur für drei Tage, stand für mich recht schnell fest, dass ich die nächste Gelegenheit ergreifen und dort ein wenig mehr Zeit verbringen möchte. Und schon war die Gelegenheit da und ich machte mich am 07.11.2017 mit meinen zwei Hunden und meinem Auto auf die 2.200 km lange Reise nach Spanien. Als mein Hundeopa noch vor dem wirklichen Start meine Vorräte vernichtet hatte (zu meiner Verteidigung: sie lagen im Fußraum des Beifahrersitzes und Tro war auf der Rückbank mit einem Gurt gesichert, er kann aber zaubern, zumindest ist das meistens meine einzige Erklärung für solche Taten) und ich mich mit Fieber eher nach meinem Bett sehnte, als nach der Autobahn, war mein Optimismus, diese Fahrt heile zu überstehen zwar etwa bei Null, aber irgendwie mussten wir ja ankommen. Also fuhren wir einfach los. Für die Hinfahrt brauchten wir 2,5 Tage und mindestens eine Packung Grippostat C, aber wir kamen tatsächlich an! Ich bezog also mein Quartier, glücklicherweise kam ich bei einer Freiwilligen des Tierheims unter und wollte mich gleich mit der Tierheimleiterin zu Lagebesprechung treffen. Leider ereilte uns der Bericht, dass eine langjährige und sehr geliebte Tierheiminsassin, die liebe Picota, tot in ihrem Körbchen gefunden wurde. Dies kam für alle plötzlich und völlig unvorhergesehen. Leider schafften wir es nicht für die liebenswerte Maus noch eine Familie zu finden bevor sie in den Himmel umzog, das machte alle sehr traurig und jeder brauchte etwas Zeit für sich. So verschob ich mein Treffen mit Irene auf den nächsten Tag im Tierheim. Picota wurde noch am Abend in den Bergen beerdigt, an der Stelle, wo sie in jüngeren Jahren an einer Außenstelle des Tierheims untergebracht war und dort tagsüber frei auf einem riesigen Grundstück in den Bergen umher laufen durfte. Leider musste sie wegen einer Leishmaniose-Erkrankung ins Tierheim umziehen aber die Zeit in den Bergen genoss sie sehr.
Am nächsten Morgen ging es los. Mein Plan war es, mir zunächst einen Überblick zu verschaffen und besonders alle Neuzugänge zu begutachten und mir einen Eindruck zu verschaffen, um die notwendigen Informationen zu deren Vermittlung nach Deutschland weiter zu geben. Außerdem wollte ich mir einige Hunde raus suchen, deren Vermittlungschancen durch gezieltes und intensives Training deutlich steigen würde und mich diesen die nächsten Wochen widmen. Auch wurden natürlich von allen, etwa 100 Tierheimbewohner/-innen neue Fotos und Videos benötigt. Also an die Arbeit.....
Ich begann, mit Matzinguer, einem netten kleinen Staffordshire-Terrier-Rüden, höfliches Verhalten zu üben. Er sollte lernen, sich zu setzen, wenn er etwas haben möchte, statt den Menschen ins Gesicht zu hopsen und ihnen an sämtlichen Kleidungsstücken zu ziehen. Es war für mich als Hundetrainerin eine komplett neue Erfahrung mit Hunden zu arbeiten, die größtenteils noch nie auch nur irgendein Kommando vom Menschen gelernt hatten. Die meisten Hunde, die ich aus Deutschland kenne, haben irgendwann zumindest mal ein „Sitz“ gelernt und haben begriffen, dass es sich häufig lohnt, das mal auszuprobieren, wenn man etwas haben möchte. Matzinguer hatte in seinem Leben im Tierheim noch nie ein einziges „Sitz“ gebraucht. Im Tierheim gibt es nur „on“ (= springen und bellen) und „off“ (= liegen und dösen), aber ein „standby-Modus“, wie ein höfliches Warten oder Sitzen, braucht hier zum Überleben niemand. Umso verwirrter war Matzinguer, als ich ihm durch Locken mit Futter versucht habe verständlich zu machen, dass ich gerne möchte, dass er seinen Hundepopo gen Boden bewegt. Mit Clicker und Futter hat das nach einer Trainingssession aber schon recht gut geklappt. Und siehe da - bei der zweiten Session ging das ganze schon viel besser. Es brauchte fünf (!!) kurze Einheiten um Matzinguer beizubringen, dass es sich lohnt, sich vor mich zu setzen. Egal wie aufgeregt er war, bei Einheit drei hat er es geschafft sich zu setzen, als ich den Raum betrat, was in etwa das größte Highlight für die Hunde im Tierheim über den Tag gesehen ist. Ich war komplett baff! Dieser kleine Hund, der sein Leben schon so lange im Tierheim verbringt, der wahnsinnig unter der mangelnden Beschäftigung und Auslastung und dem dadurch entstehenden massiven Stress und der dauernden Unruhe leidet, hat es innerhalb von zusammengezählt vielleicht einer Stunde geschafft, ein Kommando zu lernen (das erste in seinem Leben!), überhaupt das Prinzip des Lernens gezielt anzuwenden und dann auch noch über Versuch und Irrtum in einer enorm hohen Erregungslage herauszufinden, dass Zurückhaltung und das eben erst erlernte Kommando der Schlüssel zum Keks in meiner Hand sind. Eine wahnsinnige Leistung! Ich wusste also, dass ich nicht umsonst hier war.
Mit den jungen Angsthunden Fito und Lula, sowie mit den Langzeitinsassen Daxter, Lucero, Nico und Sugus übte ich Geschirr anziehen. Mit dem völlig überdrehten und von der Tierheimsituation maßlos überforderten Stich, der anfangs kein Futter nehmen konnte, sondern sich als absoluter Spielzeugjunkie (Suchtverhalten!) erwies, erarbeitete ich einen Plan, bestehend aus Auslastung durch Bewegung, Futter suchen und lecken zur Beruhigung, Tricktraining zur aktiven Nutzung des Gehirns und der Konzentration und einfach nur „Kauen können“ um runterzufahren.
Die liebe und wunderbare Blanquita, die wegen ihrer Leishmaniose schon ewig im Tierheim sitzt und trotz allem ihre Lebensfreude und ihre Liebe zu Menschen und anderen Hunden kein bisschen eingebüßt hat, hat mit mir Pfote-Geben geübt, zur geistigen Auslastung und um noch ein klein wenig mehr das Herz möglicher Adoptanten zu erobern. Ich ging mit einigen Hunden spazieren, um diese außerhalb der gewohnten Umgebung besser einschätzen zu können und trainierte dort zum Teil das Laufen an lockerer Leine oder das Stehenbleiben an Wildspuren usw.
In den drei Wochen passierte außerdem ein wahres Wunder! Ein Hund, der auf meiner Liste zum Training stand, für den sich in seinen etwa 8 Jahren Aufenthalt im Tierheim laut der Leiterin noch nicht ein einziges Mal ein Mensch interessiert hatte, wurde plötzlich adoptiert! Sein neuer Mensch stand eines Abends vor dem Tierheim. Er hatte gerade seinen geliebten Hund durch Rattengift verloren und suchte eine Aufgabe. Er wollte helfen, als Pflegestelle oder ähnliches, um, wie er sagte, wieder einen neuen Hund in sein Herz lassen zu können, bevor das nicht mehr ginge. Wir zeigten ihm das Tierheim und stellten ihm einige Hunde vor. Dann sah er Galgo....und es war um ihn geschehen. Galgo war insgesamt eher ängstlich, ließ sich aber von dem fremden, großen Mann problemlos füttern und streicheln – ich traute meinen Augen kaum. Der Mann entschied sich, Galgo eine Chance zu geben, um ihn als Pflegestelle aufzunehmen. Galgo war in seinem Leben nie wirklich draußen gewesen, geschweige denn kannte er ein Brustgeschirr (alles Plan meines Trainings, was ich mit ihm beginnen wollte). Also: Augen zu und durch, da das wohl seine erste und letzte Chance auf ein Zuhause sein konnte. Galgo machte das klasse! Ins Auto wollte er nicht, also kam er in eine Transportbox. Lange Rede, kurzer Sinn: Nach zwei Tagen erhielten wir ein Video, wie Galgo (jetzt Patxi) entspannt im Sessel schlief, seinem neuen Menschen den Ball zurück brachte, den er warf (er hatte in seinem Leben zuvor nie einen Ball gesehen!) und (gegen alle Absprachen ;-)) nach zwei Wochen ohne Leine durch die Berge lief und auf Rufen sofort zu seinem Menschen kam. Wir trauten unseren Augen nicht. Die beiden sahen aus, als wären sie ein Leben lang zusammen gewesen. Unser Wunder des Jahres 2017!
Allerdings kamen in den drei Wochen leider wieder mehr Hunde ins Tierheim, als dass welche gingen. So kam ein kleiner Welpe, vielleicht drei Monate alt, der von der Polizei gefunden wurde. Wir fingen einen streunenden Terriermix ein, eine tragende Galga ging in eine Lebendfalle, Schäferhund-Mix-Hündin Helga wurde abgegeben, Staffordshire-Hündin Kiara wurde als Beschlagnahmung von der Polizei gebracht, die süße Grey wurde abgegeben und die hochtragende Streunerin Molly wurde nach drei Wochen anfüttern endlich eingefangen und gebar ihre Babies zwei Wochen später bei Irene zu Hause. Und - und das ist meine persönliche Herzensangelegenheit - die kleine Jana (ja, der Name kommt von mir ;-)) wurde von der Polizei beim Tierarzt abgegeben, wo wir sie einsammelten und ins Tierheim brachten. Die kleine Schäferhündin war ein Häufchen Elend! So verstört und verängstigt... Ich machte es mir zur Aufgabe, sie jeden Tag mehrfach zu besuchen und sie so ein wenig auftauen zu lassen. Wenn ihr wissen möchtet, wie es mit Jana weiter ging, schaut mal auf Youtube unter PfotenNot. Nur so viel sei verraten: Wir wurden Freunde und Jana konnte nach Impfung und Entwurmung zu einigen Hundekumpels umziehen.
Glücklicherweise kamen nach 1,5 Wochen Eva, Steffi, Dirk und Nicole als Unterstützung für drei Tage aus Deutschland, sodass wir mit vereinten Kräften schöne Fotos und Videos und alles was sonst noch anfiel, abarbeiten konnten.
Die Zeit in Jumilla war anstrengend, sehr sehr emotional, und gab mir doch so viel. Ich sah, wie die kleine, lebenslustige Vera schwer erkrankte und wie sie langsam wieder gesund wurde. Wie die drei völlig abgemagerten und liebevoll die „drei Skelette“ genannten Schäferhund-Schwestern Luh, Nengah und Wayan gesünder wurden, mehr und mehr Vertrauen fassten und wie sie sich schließlich an die ihnen vertrauten Menschen hängten, um dann doch wieder alleine im Zimmer gelassen zu werden. Wie die kleine Ruma, die sich erst nicht in den Auslauf traute, wenn ich im Weg stand, sich schließlich gerne von mir streicheln ließ. Und und und..... So viele, so schöne und doch insgesamt, in dem Kontext, so traurige Momente. Es gibt noch viele Geschichten aus Jumilla zu erzählen, aber dafür reicht der Newsletter nicht aus. Ihr findet diverse Videos von Matzinguer, Galgo, Jana und Co. auf Youtube und der PfotenNot Homepage.
Am 24.11.2017 hieß es schließlich Abschied nehmen. Dieser fiel erwartungsgemäß enorm tränenreich aus, da ich all meine so lieb gewonnenen Schützlinge in ihren Zwingern, auf ihrem Betonboden, mit all ihrem Stress und ohne einen eigenen Menschen, zurück lassen musste.
Zwar kümmern sich die Mitarbeiter und die Voluntäre des Tierheims wunderbar aufopferungsvoll und mit allen Mitteln, die zur Verfügung stehen, um die vielen Hunde in Jumilla, aber leider gibt es einfach zu wenige Menschen dort, um mit den Hunden so zu arbeiten, wie sie und wir uns das wünschen würden....
Meine Hunde und ich fuhren also wieder nach Hause.... Es dauerte diesmal, ohne Fieber und mit wirklich sicher verstauten Nahrungsmitteln, nur 1,5 Tage, bis meine Hunde sich wieder über genügend Platz zum Laufen außerhalb des Autos, ausgedehnte Spaziergänge und einen Platz unter meiner Bettdecke freuen konnten – und sie waren augenscheinlich heilfroh, die lange Fahrt überstanden zu haben. Die Hunde im Tierheim Jumilla warten immer noch.....